Es war zu hören am 5.5.2005 im
Bayerischen Rundfunk ...

Licht für das Licht der Welt -
Das größte Kirchenfenster Europas entsteht in der München-Messestadt Riem
BR - Nahaufnahme am 05.05.2005 von Bettina Klenke

Es ist das größte bemalte Kirchenfenster Europas: Das Glasbild schmückt die neue katholische Pfarrkirche "Sankt Florian" in der München-Messestadt Riem: es misst 120 Quadratmeter. Gestern, am Gedenktag des Heiligen Florian (4.Mai), hat Kardinal Friedrich Wetter das Gotteshaus und das Kunstwerk geweiht. Auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens München-Riem entsteht ein neuer Stadtteil. Für Katholiken und Lutheraner wird dort ein gemeinsames Kirchenzentrum gebaut. In unmittelbarer Nachbarschaft sind zwei Kirchen entstanden: das katholische Pfarrzentrum Sankt Florian und das evangelisch-lutherische Gemeindezentrum, die Sophienkirche. Die Künstlerin Hella De Santarossa hat das leuchtende Glasfenster, das die Auferstehung Christi thematisiert, in monatelanger Arbeit geschaffen. Technisch wurde sie dabei von dem Münchner Traditionsunternehmen, der "Mayer'schen Hofkunstanstalt", unterstützt. "Licht für das Licht der Welt - Das größte Kirchenfenster Europas schmückt die München-Messestadt Riem": Bettina Klenke hat den Entstehungsprozess des Kunstwerks begleitet :

Hella De Santarossa : "Ich schwebe letztendlich über das Glas, während ich male. Mit solchen Pinseln, die zwei Meter bis zwei Meter fünfzig ... Es wird gekratzt, geschüttet, gemalt, wieder gekratzt, geschüttet. Dann gibt es eine Konzentrierung zum Kreuz, wovon die Kraft ausgeht und, was die Kraft auch wieder zusammenführt. Und da werden ganz viele Leuchtstriemen sein, die vom Kreuz ausgehen werden. Und sie haben noch eine Besonderheit, dieses Fenster lebt, deswegen gibt es auch eine Tag- und eine Nacht-Situation. Das Bild wird immer da sein, nachts ist es mehr weiß."

Bettina Klenke : Vorsicht Spritzer! Malen heißt bei Hella De Santarossa Aktion: die Künstlerin lässt sich auf einer rollenden Bühne über die Glasscheibe schieben, malt mit riesigen Pinseln und schüttet eimerweise Farbe auf die Fläche. In einer Halle mit Oberlicht auf dem ZDF-Gelände in Unterföhring hat sie ihr Atelier auf Zeit eingerichtet. Dort liegen 35 Fensterglasscheiben vor ihr, auf Stützen aufgelegt einen halben Meter über den Boden. 35 Glasscheiben, die zusammen 120 Quadratmeter ergeben, eine Fläche in etwa so groß wie ein schmales Basketballfeld. Dem Zufall allerdings will Hella De Santarossa auch angesichts dieser immensen Ausmaße nichts überlassen, auch wenn sie sich von der traditionellen Arbeitsweise eines Glasmalers löst :

Hella De Santarossa : "Das ist das klassische Prinzip: der Künstler macht einen Entwurf, er bringt ihn in die Werkstatt und dann wird er vergrößert und die guten Glasmaler malen das. Das können sie aber hier in dieser Art von Spontanmalerei geht das einfach nicht. Ich hab' es schon probiert, da müsste jemand zehn, fünfzehn Jahre mit mir arbeiten, um zu sehen, wie ich arbeite. Ich komme ja von der wilden Ecke von Berlin, damals die jungen Wilden. Wir haben ja schon als Studenten solche Sachen gemacht und groß gearbeitet."

Bettina Klenke : Wer Hella De Santarossa zuschaut, merkt sofort, dass auch heute eine Junge Wilde in ihr steckt. Mal nach links, mal nach rechts - teils im Stehen, teils im Liegen: die beiden Helfer rollen auf ihr Kommando die Bühne über die Glasfläche. Sie ist mit einem grauen Arbeitsanzug bekleidet, hat ihr Haar mit einem Tuch nach hinten gebunden und - merkwürdig - sie hat Knieschützer an :

Hella De Santarossa : "Wenn sie da hoch und runter springen und ich liege ja, da können sie gar nicht anders. Ich hätte überall blaue Flecken, ich kann mir ja nicht die ganzen Beine kaputt machen hier. Man ist ja immerhin noch Frau oder irgenwdo ..." (Lachen).

Bettina Klenke : Hella De Santarossa arbeitet mit vollem körperlichen Einsatz: sie bewegt einen großen Pinsel, manchmal sogar einen Schrubber, kraftvoll über die Fläche - so als ob sie nie etwas anderes getan hätte. Verständlich - schließlich kam sie schon als Kind mit der Glaskunst in Berührung. 1949 wurde sie in Düsseldorf geboren: als Tochter des Kunstglasmalers und Fabrikanten Wilhelm Derix experimentierte sie schon in jungen Jahren mit dem einzigartigen Material :

Hella De Santarossa : "Mir wurde es in die Wiege gelegt ein bisschen das Glas. Ich musste mich vom Glas wegbewegen, um wieder darauf zuzugehen. Also ich hab' mich immer damit beschäftigt, weil im Grunde war, wie früher andere Mädchen vielleicht die Puppe war für mich die Werkstatt die Spielbude. Ich hab' als Kind auch kleine Entwürfe gemacht immer, die dann auch schon im Glas dann umgesetzt wurden, wo ich noch kein Glas schneiden konnte. Für mich war das spannender als im Kinderzimmer."

Bettina Klenke : Aus der kindlichen Spielerei wurde Jahre später ihre Profession. Hella De Santarossa lässt sich zur staatlichen geprüften Glasmalerin an der Glasfachhochschule im hessischen Hadamar ausbilden. Einige Jahre später allerdings wendet sie sich erst einmal der Freien Malerei zu, beendet 1979 als Meisterschülerin ihr Studium an der Hochschule der Künste in Berlin. Es folgen Stipendien-Aufenthalte in den USA und Italien: ihr Werk wird schließlich einer breiten Öffentlichkeit bekannt, vor allem durch die Gestaltung des Marien-Fensters im Christus-Pavillion auf der Weltausstellung, der Expo 2000, in Hannover. Hier wird auch Norbert Jocher, der Leiter des Kunstreferats im erzbischöflichen Ordinariat München und Freising auf ihre Arbeiten aufmerksam :

Dr.Norbert Jocher : "Vielleicht ist es ein bisschen gefährlich, wenn man sagt, aber mich hat die Kunst nicht nur fasziniert - auch ja fast gefallen. Und ich hab' dann in unsere Gremien und in unsere Entscheidungsfindung hinein Frau Santarossa vorgeschlagen. Wir haben lange diskutiert und uns letztendlich auf Bistums-Ebene dann für Frau Santarossa geeinigt. Diese kraftvollen gelb explodierenden Malflächen, die uns sozusagen wie in eine Lichtmystik hineintreiben und uns zeigen, dass wir alle berufen sind zur christlichen Realität der Erlösung."

Bettina Klenke : Die erzbischöfliche Bau- und Kunstkommission beauftragt Hella De Santarossa, das zentrale Gestaltungselement in der neuen Katholischen Pfarrkirche Sankt Florian zu gestalten. Auf einem Modell ist zu sehen, was sie vor hat, wie das Kunstwerk einmal aussehen soll. Das Modell ist unverzichtbar, über das große Ganze darf sie kein Detail aus dem Blick verlieren :

Hella De Santarossa : "Es gibt keine Arbeit, die nicht vorher eine große Untersuchung braucht, bis sie umgesetzt wird. Wir machen im Grunde eine Malerei mit einer Skulptur zusammen und das ist hier in dieser Technik sehr neu und das mussten wir sehr viel probieren. Wir versuchen Licht in die Kirche hineinzubekommen über Plexiglasstäbe, so dass Lichtpunkte reinkommen und das Thema ist Tod und Auferstehung."

Bettina Klenke : Die Auferstehung Christi, abstrakt dargestellt in expressiven Gelb-, Weiß- und Orangetönen: zentral das Kreuz von Golgotha, das am hellsten leuchten wird. Malerei und skulpturale Gestaltungselemente gehen eine Verbindung ein. Ganz unumstritten ist der Entwurf nicht: einige Gemeindemitglieder kritisieren die abstrakte Darstellungsweise. Doch Norbert Jocher, Leiter des Kunstreferats, wirbt dafür, eher auf die Gemeinsamkeiten als auf die Unterschiede zu achten. Traditionelle und moderne Glaskunst, so sein Credo, liegen nicht weit auseinander :

Dr.Norbert Jocher : "So groß ist aus meiner Sicht die Veränderung gar nicht. Das Wesentliche damals war schon eben das Licht, das überirdische Licht, dass in diese Kirchenräume über die Farbe einströmt, mit völlig anderen Erlebniswelten als im profanen Bereich. Kunst ist ja je zu Zeiten eingesetzt worden, um Inhalte des Glaubens verständlich, fühlbar, verstehbar zu machen, wobei Verstehen weniger im intellektuellen Bereich angesiedelt ist als im Gefühlsbereich."

Bettina Klenke : Das Glasbild von Hella De Santarossa verzichtet nicht gänzlich auf eine bildhafte Darstellung. Das Kreuz ist gut als solches erkennbar, es wird zwar nicht gemalt: aber es ist aus der Glasscheibe herausgelassen. Hinter der kreuzförmigen Öffnung sollen später Plexiglasstäbe montiert werden, um das Tageslicht zu bündeln. Dieser Effekt wird dazu beitragen, dass das Kreuz als Mittelpunkt wahrgenommen wird - ein Anliegen der Künstlerin :

Hella De Santarossa : "Ich finde, dass die Auferstehung ein sehr wichtiges Thema ist und es im Grunde die christliche Kirche sehr stark ausmacht. Daher ist es für mich wahnsinnig wichtig, dass das als Altarfenster hinter dem Altar ist und, weil es auch meines Erachtens für den Kirchenbesucher und für die Gemeinde und alle, die dort sind, ein wichtiger Moment ist."

Bettina Klenke : So begreift Hella De Santarossa es auch als Fügung, dass sie nach dreijähriger Planung den tatsächlichen Malvorgang des Auferstehungsfensters kurz vor Ostern beginnen kann. Ihr Glasbild soll durch expressive Farben wirken - aber nicht nur durch sie allein. Auf den ersten Blick wird das Kunstwerk zwar wie eine einfache Glasscheibe erscheinen: doch neben dem aus dem Glas herausgelassenen Kreuz werden noch weitere tennisballgroße Löcher in der Fläche zu erkennen sein: 379 an der Zahl. Hella De Santarossa nennt sie Lichtpunkte. Ein Experiment, das bisher noch kein Künstler gewagt hat. Durch einige dieser Öffnungen wird sie später etwa 70 Zentimeter große Plexiglasstangen schieben, die für noch mehr Licht innerhalb der Pfarrkirche sorgen werden. Die leuchtenden Punkte sollen den ansonsten bewusst nüchtern gestalteten Kirchenraum lebendig erscheinen lassen. Der Stand der Sonne wird immer wieder für eine neue Wahrnehmung sorgen :

Hella De Santarossa : "Je nachdem wie das Licht wandert, lebt auch das Bild. Das ändert sich ständig in der Optik, weil nämlich das Licht plötzlich in so ein kleines Löchlein fällt, was wir darein gemacht haben, und dann haben sie plötzlich `ne ganz andre Lichtwirkung. Es flackert so auf."

Bettina Klenke : Für den 4. Mai, den Gedenktag des Heiligen Florian, den Schutzpatron der Pfarrkirche im neuen Stadtteil München-Riem, hat sich Hella De Santarossa Außergewöhnliches ausgedacht: Die Plexiglasstäbe hinter dem ausgeschnittenen Kreuz werden so angebracht, dass ein Lichtkegel genau auf das Lesepult, den Ambo gelenkt wird. Für die komplizierte Berechnung wurde ein Astronom aus Berlin hinzugezogen. Denn ganz ohne Hilfe kann die Künstlerin dieses in so vielen Facetten einzigartige Kunstwerk nicht gestalten. Von der Idee bis zur Realisierung ist es ein weiter Weg. Dazwischen liegen viele technische Hürden, die gemeistert werden müssen. Und genau damit ist die "Mayer'sche" Hofkunstanstalt in München betraut. Ein traditionsreiches Unternehmen, das seit 1847 in der fünften Generation besteht. Heute gehört der Familienbetrieb zu einer der international führenden Glasmalerei- und Mosaikwerkstätten. Helge Pöhler gehört zur Geschäftsleitung: In den knapp 160 Jahren seit Bestehen der Mayer'schen Hofkunstanstalt - sagt er - hat sich in der Glaskunst Grundsätzliches verändert :

Helge Pöhler : "Früher war es ja so, dass nicht der Künstler im Vordergrund stand, sondern eigentlich immer die Firma. Man hat sich im 19. Jahrhundert Fenster der Firma Mayer geleistet und nicht Fenster von irgendeinem Künstler. Der Künstler war oftmals angestellt und ist auch kaum erwähnt worden. Heute ist es andersrum: heute steht der Künstler im Vordergrund und die Firma steht dahinter letztendlich."

Bettina Klenke : Doch damals wie heute gilt: nur wenn Künstler und Glaswerkstatt Hand in Hand arbeiten ist ein Gelingen garantiert. Vor allem in der Planungsphase hat Helge Pöhler eng mit Hella De Santarossa zusammengearbeitet. Auch für ihn ein einzigartiges Projekt, selbst wenn das Unternehmen schon viele namhafte Aufträge realisiert hat :

Helge Pöhler : "Wir haben um die Jahrhundertwende allein in New York über 100 Kirchen mit Fenstern ausgestattet. Weltweit sind es über 100 Kathedralen, selbst der Petersdom hat Fenster der "Mayer'schen Hofkunstanstalt". Nach dem Krieg hat es eigentlich angefangen, dass wir auch sehr viel im öffentlichen Bereich gearbeitet haben, im sakralen Bereich ist es in den letzten Jahren etwas zurückgegangen. Es wird natürlich im sakralen Bereich bei Weitem nicht mehr so viel gebaut, aber wir setzen uns auch mit Privatleuten auseinander, die zu Hause irgendwo eine Kleinigkeit haben möchten, auch das realisieren wir und beraten die Leute dementsprechend."

Bettina Klenke : Repräsentative Villen, Universitäten oder Firmenlobbys: das sind in der Regel die Orte, an denen die aufwendig gefertigten Glasfenster und Mosaike der Mayer'sche Hofkunstanstalt heutzutage zu bewundern sind. In den sechziger und siebziger Jahren, als noch Kirchen gebaut wurden, sah das anders aus. Damals lag das Kerngeschäft der Mayer'schen Hofkunstanstalt in der Ausstattung von Kirchen. Heute macht der sakrale Bereich nur noch 20 bis 30 Prozent der Aufträge aus. In Zeiten, in denen immer mehr Gotteshäuser verkauft und fremd genutzt werden, ist ein Kirchenbau wie der in Riem fast ein einzigartiges Projekt. Auch für den ausführenden Architekten Florian Nagler war die Planung eine Herausforderung: nicht zuletzt auch deswegen, weil für Katholiken und Lutheraner ein gemeinsames Kirchenzentrum realisiert werden musste. Diese nachbarschaftliche Nähe war eine Vorgabe der Stadt München, möglicherweise aus der Not geboren, wollte Florian Nagler architektonisch das Beste daraus machen :

Florian Nagler : "Im Kirchenzentrum gibt es zwei Kirchen, eine evangelische und eine katholische. Uns war ganz wichtig, dass die beiden Kirchenräume jeweils ihr Eigenleben entwickeln, also ganz besonders auch auf die jeweilige Konfession auch zugeschnitten sind und der katholische Kirchenraum ist an und für sich ein sehr zurückhaltender gestalteter, also alles in silbergrau, lichtgrau. Er wird aber besonders geprägt durch dieses große Fenster. Diese Dimension dieser großen Scheibe wird den Raum sehr prägen und erst im Endzustand wird der Raum seine Wirkung dann auch entfalten können, weil er einfach von diesen Fenstern ganz stark geprägt sein wird."

Bettina Klenke : Klare Linien sind das zentrale Gestaltungselement. Die Architektur orientiert sich am Bauhaus-Stil, sie wirkt schnörkellos, sachlich, funktional. Ziel war es, die Eigenständigkeit der beiden Gemeinden zu wahren: gleichzeitig sollte aber ein Kirchenzentrum geschaffen werden, das im Erscheinungsbild die Zusammengehörigkeit erkennen lässt. Aus diesem Grund teilen sich Katholiken und Lutheraner einen freistehenden Kirchturm. Der soll dem nahe gelegenen großen Einkaufszentrum, den "Riem-Arkaden", baulich etwas entgegensetzen. Das allerdings gelingt nur schwer, dafür hätte der Turm noch ein paar Meter höher sein können. George Resenberg, Leiter des Baureferats im Erzbischöflichen Ordinariat München und Freising, kann sich noch gut daran erinnern, dass die Pläne des Architekten nicht auf ungeteilte Zustimmung stießen :

George Resenberg : "Hier hat er eine in der Anfangsphase sehr stark diskutierte Konzeption vorgelegt, also der Architekt. In der Nachbarschaft der Messe in Riem ein Kirchenzentrum, das eingefriedet ist mit einer Umfassungsmauer, die sehr stark diskutiert war: 11 Meter Höhe. Der Grund dafür ist ein in sich ruhendes und nach innen orientiertes Kirchenzentrum zu schaffen, dass diesem Trubel in diesem Messeumfeld und vor allen Dingen den gewaltigen Gebäuden, die rund herum stehen, denken sie nur an die "Riem-Arkaden", auch von der Baumasse etwas entgegenzusetzen hat."

Bettina Klenke : Kommerzhochburg auf der einen Seite - kontemplative Einkehr auf der anderen Seite. Eine freistehende hohe Mauer ist nicht zu erkennen: Die ganz in weiß gehaltenen Außenwände der beiden Kirchen sind es selbst, die gewissermaßen als eine Art klösterliche Mauer wirken. Denn von Seiten der Shoppingmeile wird kein Einblick in die beiden Gotteshäuser gewährt. Innerhalb des Kirchenzentrums öffnet sich die Architektur aber, der nüchterne geometrische Gesamteindruck wird durch rötliche Backsteine, helle Holzlamellen und junge Bäume aufgelockert. Nun ist zu erkennen, dass gleich neben den beiden Kirchen, auch Raum geschaffen wurde für Kindergärten, Büros und Innenhöfe. Martin Guggenbiller wird diesen Ort entscheidend mitprägen: seit gut einem halben Jahr ist er Pfarrer der katholischen Sankt Florian-Gemeinde. Zu Beginn, erinnert er sich, hat er mit der Architektur so seine Schwierigkeiten gehabt :

Martin Guggenbiller : "Was für mich nicht das erste ist, dass alles ganz geradlinig sein muss, weil das Leben nicht geradlinig ist. Und das kann ich hier überhaupt nicht wiedergegeben sehen, auch die Bäume sind teilweise in Reih und Glied gepflanzt, wo ich sag' das Leben spielt sich ganz anders ab. Inzwischen kann ich aber auch dem etwas abgewinnen, dass es vielleicht auch eine Sehnsucht des Menschen ist, dass wir schon nach einer Geradlinigkeit streben. Es ist also nicht viel vorgegeben, also man kann auch viel gestalten und da glaube ich, dass wir auch mit einem bunten, vielfältigen Leben hier das Pfarrzentrum beleben können."

Bettina Klenke : 16-tausend Menschen sollen eines Tages in dem neuen Münchner Stadtteil Riem leben. Schon jetzt sind 80 Nationalitäten vertreten. Die Muslime bilden nach den Katholiken die zweitstärkste Glaubensgemeinschaft. Für die evangelische Sophiengemeinde wurde eine vergleichsweise niedrige Mitgliederstärke prognostiziert: nur 12 Prozent der Einwohner werden evangelischer Konfession sein. Der Anteil der Katholiken in Riem wird um die 33 Prozent liegen. Doch ob Katholiken, Protestanten oder Muslime - so Pfarrer Martin Guggenbiller - es wird in dem neuen Stadtteil darauf ankommen, für alle ein zu Hause zu schaffen :

Martin Guggenbiller : "Menschen ziehen zusammen, sie versuchen, sich zu finden, sind eigentlich durchschnittlich offener als in anderen Stadtvierteln. Man versucht hier heimisch zu werden, dass man Wurzeln fasst, damit ich sagen kann: ich bin hier in der Messestadt zu Hause und, dass auch hier Strukturen in dem Stadtviertel geschaffen werden, dass die Menschen die Hilfe finden, die sie brauchen."

Bettina Klenke : Heimat finden, offen sein für andere Religionen, ins Gespräch kommen mit den Gläubigen der Partnergemeinde innerhalb des Kirchenzentrums. 1000 Katholiken und 650 evangelische Christen leben inzwischen in Riem - sie alle leisten Pionierarbeit. Und das - betont Pfarrer Martin Guggenbiller - können sie nur, wenn sie es gemeinsam tun :

Martin Guggenbiller : "Diese enge Nachbarschaft wird uns hier sicherlich wegweisend sein, dass man sagt: Wir Christen müssen auf einen Weg der Einheit gehen, und wir können unsere Aufgaben immer wieder im Zusammenschluss auch erfüllen. Es ist die Frage, wo es wichtig ist, dass wir die Identität bewahren, wo beide Gemeinden für sich gehen müssen, wo aber auch von Anfang an klar ist, diese Aufgaben werden gemeinsam angegangen werden müssen."

MUSIK "Ave Maria"

Hella De Santarossa : "Ich hab' Angst vor der Fläche. Dieser Walkman erleichtert einfach das reinhüpfen, kann mich sehr gut auf die Arbeit konzentrieren, was ich nicht könnte, wenn ich nicht den Walkman aufhätte."

MUSIK "Ave Maria"

Hella De Santarossa : "Wenn ich entwerfe, höre ich sehr viel klerikale Musik und ich les' auch sehr viel Liturgie. Aber diese liturgische Musik ist für die vordere Seite zum Malen ist die zu langsam. Also es ist ja im Grunde mehr ein Anfeuern, es ist die Angst vor der großen Fläche, um sich darüber hinwegzusetzen, um heiße Füße zu bekommen."

Bettina Klenke : In Fahrt kommen, Gas geben, eintauchen: das gelingt Hella De Santarossa am besten mit Musik. Und deswegen ist der Walkman für sie ein unverzichtbares Arbeitsutensil. Bei der Vorbereitung des Kunstwerks hat sie sich mit liturgischen Gesängen eingestimmt, mit Ave Maria, Passionsmusik und Orgelkonzerten von Johann Sebastian Bach. Jetzt allerdings, in der heißen Phase, in der sie die zwei Meter langen Pinsel über die gewaltige Glasfläche bewegt, hat sie einen anderen Taktgeber :

MUSIK - "Bill Haley"

Bettina Klenke : Bill Haley - Hella De Santarossa schmunzelt ein bisschen, das ist die Musik, mit der sie so richtig in Schwung kommt. Doch in Schwung kommen heißt bei ihr keinesfalls, einfach wild darauf loszumalen :

Hella De Santarossa : "Meine Malerei basiert letztendlich darauf, dass jeder Strich, deswegen nenne ich die gestische Malerei - stimmt."

Bettina Klenke : Jeder Strich muss sitzen und das auf einer 120 Quadratmeter großen Fläche. Hella De Santarossa blickt zwischendurch auf ihren Entwurf, gleicht ab, ob die Farben noch übereinstimmen. Dabei unterstützt sie ein Mitarbeiter der "Mayer'schen Hofkunstanstalt": Klaus Wloka ist Glasmalermeister und darauf spezialisiert, Glaskünstler bei ihrer kreativen Arbeit tatkräftig zu unterstützen :

Klaus Wloka : "Meine hauptsächliche Aufgabe ist es eigentlich, die ganzen Farben für die Frau Santarossa vorzubereiten und die technische Überwachung der ganzen Sache. Bin auch immer mit bei den Brennvorgängen und bei den Härtevorgängen der ganzen Scheiben mit dabei und schau, dass das einigermaßen reibungslos über die Bühne läuft."

Bettina Klenke : Das Material Glas ist für alle eine Herausforderung: wenn der erste Malvorgang abgeschlossen ist, muss jede der insgesamt 35 Scheiben gebrannt werden - und das am besten ohne kaputt zu gehen: Hella De Santarossa : "Es ist natürlich eine sehr unruhige Phase. Da ist man sehr nervös. Aber nach meiner Erfahrung gehen nicht so viel Sachen kaputt. Es gehen maximal zwei Prozent kaputt, es läuft alles wie am Schnürchen."

Bettina Klenke : Optimismus hilft, aber trotzdem ist die Anspannung groß: denn jede Glasscheibe, die zerbricht, muss noch einmal neu bemalt und dann wieder gebrannt werden. Verzögern darf sich am Ende nichts - bis zur Weihe des neuen Kirchenzentrums durch Kardinal Friedrich Wetter und Johannes Friedrich, Landesbischof der Evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern, muss das Kunstwerk fertig sein - ganz gleich wie viele Scheiben den Brennvorgang nicht überstehen :

Helge Pöhler : "Die Scheiben werden mit der Bemalung in den Ofen eingebracht auf ca. 600 Grad gebracht. Auf 580 Grad ca. beginnt die Farbe flüssig zu werden. Das Glas als solches ist noch relativ stabil. Erst dann wird dieses Glas-Granulat, was in der Farbe ist, wieder zu Glas. Es verbindet sich wieder miteinander, wird wieder flüssig. Erst durch das Zusammenschmelzen der einzelnen Gläser wird das Ganze wieder transparent."

Bettina Klenke : Eine heiße Phase - im wahrsten Sinne des Wortes. Helge Pöhler von der Mayer'schen Hofkunstanstalt ist dafür verantwortlich, dass technisch alles reibungslos läuft. Um überhaupt garantieren zu können, dass alles klappt, wurden im Vorfeld einige Testläufe gefahren. Als der Brennvorgang abgeschlossen ist, sind alle froh: nur eine Scheibe ist kaputt gegangen. Eine hervorragende Bilanz! Denn das bedeutet, dass Hella De Santarossa auch nur eine Scheibe neu bemalen muss. Dann endlich ist es soweit: alle 35 Scheiben liegen wieder heile vor ihr. Nun allerdings mit der Rückseite nach oben: denn jetzt beginnt der zweite Malvorgang. Das ist Feinarbeit, denn jetzt kommt es darauf an, die Gelbtöne auf der Vorderseite zu optimieren. Dafür verwendet Hella De Santarossa eine weiß-matte Spezialfarbe, die trägt sie auf die bisher unbehandelte Rückseite auf :

Hella De Santarossa : "Gelb ist auch ein sehr schwieriger Farbton: Gelb mit Weiß zu mischen, gibt ein hässliches Gelb. Sie sehen selten schöne Autos in Gelb. Um den leicht zu erhalten, dürfen sie im Grunde kein Weiß rein tun. Von daher mattieren wir das eben, um das ein bisschen zusammenzuziehen auf der Rückseite, damit das Gelb atmen kann noch auf der Vorderseite."

Bettina Klenke : Viel Vorstellungskraft, aber auch viel Erfahrung ist da gefragt: die Farben auf der Vorderseite sollen noch intensiver zur Geltung kommen - und das erreicht Hella De Santarossa, indem sie bestimmte Stellen auf der Rückseite mattiert, das Gelb verdichtet :

Hella De Santarossa : "Jetzt ist es einfach ein ganz hartes Kontroletti, was wir machen. Man muss sehr vorsichtig auch daran gehen. Man kann die Malerei auf der Vorderseite kaputt machen, wenn man zu stark reingeht: gelb-weiß ist im Grunde der Grundton, weil das die Osterfarbe, die Auferstehungsfarbe ist.
Das sieht so aus, als ob das nichts wär'. Man glaubt das nicht, aber es ist doch ein ziemlicher Kraftakt, den man da zu vollbringen hat, weil man muss ja den Kopf, den Bauch und die Hand zusammenhalten. Wenn das nicht alles zusammen funktioniert, dann stimmt es nicht."


Bettina Klenke : Jedes Detail muss stimmen, jede einzelne Scheibe wird auf der Rückseite nachbearbeitet - doch wie das größte Glasfenster Europas in der Sankt Florianskirche tatsächlich an Ort und Stelle wirken wird, bleibt bei aller Akribie auch eine Überraschung. Doch es scheint, ein gutes Omen zu sein: Hella Santaros, 0sa kann den zweiten Malvorgang in der Osterzeit beenden - genau der richtige Zeitpunkt für ein Kunstwerk, das die Auferstehung thematisiert :

Walter Uptmoor : "Das ist auch verantwortungsvolle Arbeit und man muss sehr vorsichtig sein und da kann man nicht hudeln oder schnell, schnell versuchen das zu machen, da muss man sich Zeit nehmen und Geduld. Also wir sind extra mit fast die ganze Werkstatt, also 8 Personen hier bei der Montage. Vier Leute montieren, vier Leute holen immer die Scheiben und so hoffen wir, dass wir das jetzt in ein paar Tagen eingebaut haben."

Bettina Klenke : Walter Uptmor, Werkstattleiter bei der Mayer'schen Hofkunstanstalt, steht zusammen mit einem Kollegen auf einer Hebebühne in der Sankt Florianskirche. Ganz vorsichtig muss Scheibe um Scheibe per Hand eingebaut werden. Es stellt sich heraus, dass die Beiden für die ersten drei Scheiben so viel Zeit benötigen wie später für die nächsten zehn. Doch nach und nach nimmt das Kunstwerk Formen an, noch ist den Mitarbeitern von Helge Pöhler kein Fehler unterlaufen :

Helge Pöhler : "Das muss man letztendlich so sehen, wir haben hier Handarbeit und wo händisch gearbeitet wird, kann auch, was passieren. Dieses Risiko muss man einfach in Kauf nehmen. Unsere Mitarbeiter sind ja jetzt auch nicht Leute, die ausschließlich montieren, sondern die fertigen auch diese Kunstwerke mit dem Künstler zusammen, insofern wissen sie auch, was dahinter steckt und wissen, was es heißt, wenn da eine Scheibe kaputt geht, dass man sie nicht irgendwo in der Industrie bestellt, sondern dass es einen sehr großen Aufwand bedeutet."

Bettina Klenke : Nach einigen Tagen ist es vollbracht: alle atmen auf, keine einzige Scheibe ist zerbrochen, das größte Glasfenster Europas erblickt das Licht der Welt - der Zeitpunkt hätte nicht besser gewählt sein können :

ATMO - Glocken Sankt Florian

Hella De Santarossa : "Ja das ist die Auferstehung, das Auferstehungsfenster in der Zeit, wo der neue Papst gewählt wird und wir in der Endphase sind der Auferstehung und der neue Papst ist da, der neue Pontifex."

Martin Guggenbiller : "Wir haben in Sankt Florian fünf Kirchenglocken, davon sind vier für das katholische Geläut und eine hat uns die evangelische Schwesterngemeinde gestiftet, sie wird natürlich auch für die evangelische Gemeinde läuten. Anlässe, wo alle fünf Glocken läuten werden, sind äußerst selten, aber wie heute bei der Papstwahl werden natürlich auch mit allen fünf Glocken geläutet."

Hella De Santarossa : "Drei Jahre meines Lebens hab' ich hier hier verbracht, hab' das Grüngelände gesehen, wo noch gar nichts war, die verschiedenen Stimmen auch zu den Entwürfen, die sind ja auch teilweise umgestellt worden, und dann noch mal gemacht worden, noch mal ne Änderung: aber es hat wirklich drei Jahre meines Lebens. Aber es ist komisch, wenn man so was fertig hat, damm kommt so eine Leere plötzlich, ja!
Ich bin wortlos, denn wenn ich jetzt die Sache seh', man hat gemalt und gemalt. Ich find's schon ganz gewaltig ..."
(Lachen).

ATMO - Glocken Sankt Florian